Pornographie im Internet?
Dichtung und Wahrheit.


© Heimo Ponnath , (in'side online 2/3 1996)

Der Pornomythos und sein Untergang

Die Nagelprobe

Das deutsche Pornogesetz

Der amerikanische Coup

Internet: Chancen und Ängste

Staatliche Maßnahmen sind wirkungslos

Wirksame Schutzmaßnahmen

Leben in der virtuellen Stadt


"Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft haben am Mittwoch die deutsche CompuServe-Zentrale in Unterhaching bei München durchsucht und Unterlagen beschlagnahmt." In dieser Meldung, die Anfang Dezember 1995 verbreitet wurde, wird als Grund für die Maßnahme angegeben, der Onlinedienst habe durch sein Internet-Gateway zur Verbreitung von Kinderpornographie beigetragen. Der ermittelnde Oberstaatsanwalt Heimpel schloß auch Verfahren gegen weitere Internetprovider nicht aus. Zugang zum Internet gleich Darbietung von Pornographie? Es ist an der Zeit, Dichtung und Wahrheit voneinander zu trennen.

Der Pornomythos und sein Untergang

"Auf dem Bildschirm vor Ihnen: Cyberporno" betitelte Philip Elmer-Dewitt seine Titelstory in der Time vom 3.7.1995. Er verwertete darin die Studie eines Forscherteams der Carnegie Mellon Universität in Pittsburgh, die er vom Autor Marty Rimm vorab erhalten hatte. Die erschreckende Aussage des Magazins: "In einer 18 Monate dauernden Untersuchung prüfte das Team 917.410 sexuelle Inhalte wie Bilder, Beschreibungen, Kurzgeschichten und Filmclips. In den Usenet Newsgroups, die digitalisierte Bilder enthalten, waren 83,5 % der Bilder pornographisch."

Drei Wochen danach nahm Elmer-Dewitt seine Behauptungen zurück (Time vom 24.7.95). Er stellte die Erkenntnisse von Rimm infrage und entlarvte sowohl den Autor als auch seine Studie als inkompetent. Das angebliche Forscherteam entpuppte sich als der Student Marty Rimm, der schon bei anderen Gelegenheiten mit zweifelhaften Veröffentlichungen Unruhe gestiftet hatte. Die Studie wurde vom Professorenehepaar Donna L. Hoffman und Thomas P. Novak (Vanderbilt Universität), zwei hervorragenden Kennern der Materie, auseinandergenommen.

Von den 917.410 beanstandeten Files kam kein einziger aus Usenet NewsGroups oder dem Internet! Alle stammten aus privaten Mailboxen für Erwachsene, für deren Benutzung per Kreditkarte zu zahlen ist. Von den 11.576 Webseiten, die Rimm im Dezember 1994 untersucht hat, waren es lediglich neun, die nach seiner Einschätzung pornografisches Material enthielten - weniger als 0,08%! Und auch die angeblichen 83,5% pornografischer Inhalte in den NewsGroups erwiesen sich als haltos: Rimm hatte lediglich 32 Gruppen - alle aus der Hierarchie alt.binaries - untersucht, von denen er 17 als pornografisch klassifierte. Darin fand er pauschal 4.206 Postings, wobei kein Unterschied gemacht wurde, ob es sich um Bilder aus mehreren Teilen, um Kommentare oder andere Textbeiträge handelte. An der Gesamtzahl von fast 12.000 NewsGroups gemessen, dürfte der Prozentsatz an pornografischem Material dann fast Null sein.

Das Echo auf den Times-Artikel war gewaltig. Neben einer Flut von Emails von empörten Internetlern, die sich plötzlich öffentlich als potentielle Lustmolche geoutet sahen, begann auch ein mächtiges Rauschen im journalistischen Blätterwald. Solch eine saftige Titelstory trägt spürbar zu Erhöhung der verkauften Auflage bei - selbst wenn sie falsch ist. Und so erschienen auch in Deutschland viele triefende Seiten zum vermeintlichen Pornosumpf des Internet - meist unter kritikloser Übernahme der Times-Aussagen. Andere Echos waren zunächst weniger laut, stellen sich aber nach einigen Monaten als sehr schwerwiegend heraus - gemeint sind die Reaktionen aus der Politik, auf die später noch eingegangen wird.


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Die Nagelprobe

Falls Sie, lieber Leser, Zugang zum Internet haben, dann führen Sie doch bitte einmal zwei Versuche aus, die Ihnen diesen schlüpfrigen Sumpf drastisch illustrieren werden. Die Kernaussage aller Pornokritik ist ja die Furcht, daß Jugendliche oder Kinder unversehens beim Surfen im Web nach wenigen Mausklicks mit prallen Popos oder Busen (wenn nicht noch schlimmeren Bildern) konfrontiert werden. Wir werden also mit einem typisch kindlichen Thema beginnen: Suchen Sie doch bitte Material über Dinosaurier aus dem Netz zusammen. Vermutlich gehen Sie dazu in diverse Suchmaschinen wie Lycos, Yahoo oder WebCrawler und folgen dann einzelnen, vom Titel her vielversprechenden Links, von diesen dann zu weiteren Links usw. bis Sie alles über Dinosaurier erfahren haben. Dazu kommen dann noch Ausflüge in den Gopherspace und in NewsGroups. Haben Sie dabei Kontakt zu Pornographie gehabt? Mit Sicherheit nicht! Wir gehen einen gewagten Schritt weiter: Das Suchthema ist im zweiten Versuch nicht mehr kindlich. Genau genommen haben wir gar kein Thema, sondern benutzen einen Zufallsgenerator, der bei jeden Mausklick irgendeine der ca. fünf Millionen Webseiten auf den Bildschirm ruft. Hier können Sie nun nach Herzenslust Stunde um Stunde Webseiten zu allen Themen und aus allen Ländern ansehen. Nach wievielen Tagen sind Sie über Pornographie gestolpert? Vermutlich haben sie schon lange vorher die Geduld verloren!

Noch einen Schritt weiter ging Lisa Schmeiser im CMC Computer-Mediated Communications Magazine: Sie suchte ganz bewußt nach obszönen Inhalten. Erst nach dem Durchlaufen von zwölf Suchstationen wurde sie fündig. Die Konsequenz aus diesen Experimenten: Die Wahrscheinlichkeit dafür, unschuldig von Pornographie aus dem Web auf den eigenen Bildschirm überrascht zu werden, diese Wahrscheinlichkeit ist so gut wie Null! Der Autor hat seit Jahren viele intensive Recherchen zu einer ganzen Anzahl von Themen per Internet durchgeführt: Kein einziges Mal stolperte er dabei zufällig über schlüpfrige Pornos. Lisa Schmeiders Schlußfolgerung: "Es gibt sicherlich Kinder, die ... das >>Erwachsenen-Material<< finden. Aber das sind dieselben Kinder, die jeden erreichbaren Laden im Radius von fünf Meilen durchsuchen würden um dann den einen Playboy im Regal zu finden. Sie nehmen einen zielgerichteten Aufwand dazu in Kauf, diese Sachen zu finden - (und nicht umgekehrt:) das Material findet sie nicht!". Man muß also gezielt danach suchen - wie in den Rotlichtvierteln unserer Städte.

Aber: Auch wenn es sich nicht um das Ausmaß handelt, von dem die Rimm-Studie berichtet (die Reeperbahn ist in Hamburg, aber Hamburg ist nicht die Reeperbahn!), so gibt es tatsächlich Schmuddelecken im Internet. Von den etwa 12.000 NewsGroups befassen sich wirklich ca. 20 mit Erotik, also etwa 0,17%. Eine Minderzahl davon wiederum enthält Pornographie und ein Anteil daraus sogar harte Pornographie. Wenn also auch dünn gesät und schwer zu finden, es gibt schon Inhalte, die wir lieber nicht darauf unvorbereiteten Kindern präsentieren sollten.


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Das deutsche Pornogesetz

In diese Richtung zielt auch die deutsche Gesetzgebung. Im Strafgesetzbuch (vor allem §184 StGB) und im Gesetz zum Schutz vor jugendgefährdenden Schriften (GjS), das in den entsprechenden Passagen fast identisch mit dem StGB ist, geht es vor allem um Kinder unter 18 Jahren. Global wird zunächst ein Unterschied gemacht zwischen einfacher und harter Pornographie. Zur zweiten Kategorie zählen z.B. Darstellungen von Sexualität, die mit Gewalt verbunden sind, mit Sodomie und vor allem mit Pädophilie (Darstellungen sexueller Handlungen mit Kindern). Seit 1993 gilt für Pornographie dieser Art sogar ein generelles Besitzverbot: Schon solches Bildmaterial auf Disketten oder der Festplatte zu haben ist strafbar. Hier ist natürlich auch die Zielgruppe der Erwachsenen angesprochen.

Bei einfacher Pornografie unterscheidet man dagegen die Konsumentengruppen: Der Schutz der Kinder und Jugendlichen tritt in den Vordergrund. Die Grenzen zwischen erotischer Darstellung und Pornographie sind nicht genau definiert. Pornografisch kann ein Werk zunächst dadurch sein, daß es deutlich auf die sexuelle Erregung des Betrachters zielt. Wenn es außerdem noch grob aufdringlich ist und die anderen Dimensionen der Sexualität aus dem Blickfeld läßt, dann ist seine Einordnung als Pornographie recht wahrscheinlich. Letztendlich entscheiden hier die Gerichte über jeden Einzelfall und das Urteil hängt von Grad des Puritanertums des einzelnen Richters ab. Michelangelos Leda mit dem Schwan hätte jedenfalls heute keine guten Chancen mehr.

Ist ein Werk erst einmal als Pornographie eingestuft, dann tritt der Paragraph 184 des Strafgesetzbuches in Aktion. Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe hat jeder zu rechnen, der solche Werke Personen unter 18 Jahren anbietet, überläßt oder zugänglich macht, ... sie an Orten ausstellt, anschlägt, vorführt, die solchen Personen zugänglich sind, ... öffentlich an einem Ort, der von Personen unter 18 Jahren zugänglich ist oder von ihnen eingesehen werden kann, ... anbietet oder anpreist. Dieses Gesetz ist eigentlich klar formuliert und das Bundesjustizministerium sieht deshalb auch keine Strafbarkeitslücken. Problematisch wird es erst, wenn es die Rechtsgelehrten Wort für Wort zerpflücken: Ist das Internet ein Ort im Sinn des Gesetzes? Und schließlich spricht der Paragraph 184 nur von pornographischen Schriften oder pornographischen Darbietungen über den Rundfunk: Als was sind dann die GIF- oder JPG-Files in den einschlägigen NewsGroups zu werten?

Manche sprechen tatsächlich von einem rechtsfreien Raum. Der deutsche Saubermann kann sich aber zuverlässig auf eine Institution verlassen, die auch schon beim geringsten Hauch von Gewalt oder Pornographie drakonisch zugreift: Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften. Kann er das auch in Bezug auf das Internet? Nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Münster aus dem Jahre 1991 sind die Sittenwächter nur für körperliche Gegenstände (Bücher, Fotos, Cds, Videos etc.) zuständig! Daten im Internet fallen nicht in diese Kategorie. Es gibt tatsächlich keine Indizierung dafür!


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Der amerikanische Coup

Im Mutterland des Internet, den Vereinigten Staaten, ist man da gar nicht zimperlich: Hier soll sogar der altehrwürdige erste Zusatz zur Verfassung (Freiheit der Religion, der Rede und der Presse, 1791) über Bord geworfen werden. Senator Jim Exon (Demokrat aus dem Bundesstaat Nebraska) schaffte es nach ersten vergeblichen Versuchen schließlich im Juli 1995, im Senat eine Mehrheit für sein Gesetz für Schicklichkeit bei der Kommunikation (Communications Decency Act) stimmen zu lassen. Im Rahmen eines umfangreichen Gesetzeswerkes zur Kommunikation sollte es Geldstrafen bis zu 100.000$ und Haft bis zu zwei Jahren für diejenigen geben, die im Netz mit "obszöner, lüsterner, schlüpfriger, unflätiger oder unzüchtiger" Sprache verkehren. Online-Dienste und Internetprovider sollten für solche illegalen Inhalte haftbar gemacht werden.

Den nötigen Weg durch das Repräsentantenhaus schaffte das Exon-Bill aber nicht: Der Sprecher des Hauses - Newt Gingrich - machte auf die Verfassungswidrigkeit aufmerksam. Zwei Abgeordnete (Chris Cox und Ron Wyden) gingen sogar noch weiter: Sie entwarfen einen Gesetzesvorschlag zur Freiheit im Internet und zur Stärkung der Rechte von Familien (Internet Freedom and Family Empowerment Amendment), der am 4. August 1995 mit gewaltiger Mehrheit angenommen wurde.

Doch die Retter der amerikanischen Verfassung hatten nicht mit der Findigkeit Exons gerechnet. In einem anderen Zusatz zum Telekommunikationsgesetz fand er ein Hintertürchen: Das Manager's Amendment formulierte ähnliche Einschränkungen der Verfassung wie das Exon-Bill. Um die widersprüchlichen Gesetze neu zu formulieren, bildete sich ein Komitee, in das aber weder Cox noch Wyden, dafür jedoch Exon und Henry Hyde aufgenommen wurden. Letzterer gehört zur Christlichen Koalition, die sich zuvor noch für eine Verschärfung des Exon-Bill eingesetzt hatte und von ihm stammte das fragliche Manager's Amendment.

Rick White, ein Abgeordneter aus Washington, unterzog sich der schweren Aufgabe, ein Papier zu entwerfen, das die beiden widersprüchlichen Gesetze vereinen sollte. Es gelang ihm auf bewundernswerte Weise. Vor allem ersetzte er das schwammige Wort "unzüchtig" durch die prägnantere Definition "gefährdend für Minderjährige". Online-Dienste und Internet-Provider wurden aus der Haftbarkeit entlassen. Im Prinzip entsprach die neue Formulierung den Absichten des deutschen Paragraphen 184 StGB und vor allem geriet sie nicht in Konflikt mit der amerikanischen Verfassung, die ebenfalls den Schutz von Minderjährigen beinhaltet. Das Komitee nahm diesen Entwurf an.

Und nun geschah etwas merkwürdiges: Hyde und ein Abgeordneter aus Virginia namens Bob Goodlatte setzten anstelle von Whites "gefährdend für Minderjährige" wieder das alte Wort "unzüchtig" ein. Dann stimmte das Komitee am 6.12.1995 ab und mit der knappen Mehrheit von einer Stimme war der veränderte Vorschlag abgesegnet. So hat es das Exon-Bill über einen Umweg und eher marginale Veränderungen doch noch geschafft, die amerikanische Verfassung ernsthaft zu gefährden.

Es setzte ein Sturm der Empörung ein: Das renommierte Magazin Wired und auch Hotwired riefen - unterstützt durch die Electronic Frontier Foundation und andere Organisationen - zu einer Protest-Rallye und Demonstration am 14.12.1995 in San Franzisko auf. Die EFF (Electronic Frontiere Foundation) argwöhnt, daß der Pornographievorwurf nur als Hebel eingesetzt wird, die Informationsfreiheit im Internet einzuschränken. Die Befürchtung kommt nicht von ungefähr: Dies ist nicht der erste Angriff staatlicher Organe auf die Freiheit des Internet. So wurde z.B. in langwierigen Gerichtsverfahren vor einiger Zeit das Thema Clipper-Chip ad acta gelegt, ein Chip, mit dessen Hilfe es Behörden möglich gewesen wäre, auch verschlüsselte Mail mitzulesen. Außerdem heißt das Wort "indecent" nicht nur "unzüchtig", sondern auch noch "unanständig, anstößig, unschicklich, ungehörig, ungebührlich". Das führt weit von der Pornographie weg - auch Kritik jeglicher Art kann als ungehörig empfunden werden.


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Internet: Chancen und Ängste

Was macht das Internet wirklich zur Zielscheibe von Restriktionsmaßnahmen? Alle herkömmlichen Medien (wie Zeitungen, Rundfunk, Fernsehen) weisen eine hierarchische Struktur der Informationsvermittlung auf: Eine Redaktion bereitet die Beiträge auf, die dann der Verbraucherschar verkauft wird. Das ist ein übersichtlicher und - wie man in totalitären Ländern sehen kann - leicht zu kontrollierender Weg. Das Internet muß daher obrigkeitsstaatlich Denkenden ein Dorn im Auge sein: Jeder der ca. 30 Millionen Netzbürger kann sowohl Konsument als auch Produzent von Informationen sein. Francis Pisani erkennt das Internet als Vertreter eines neuen Paradigmas: Nicht mehr die starre, geordnete Struktur bestimmt den Fortschritt, sondern die schöpferische Kraft fragmentierter, komplex vernetzter Heterogenität, die am besten mit Elementen der Chaostheorie beschrieben werden kann.

Das Internet als Ausdruck der Postmoderne erzeugt eine ganze Reihe ungewöhnlicher Strukturen wie virtuelle Gemeinschaften globalen Ausmaßes oder die Virtual Corporations. Erstere erinnern zum Teil an die Graswurzelrevolution der späten siebziger Jahre: Schöpferisches Chaos, aus dem sowohl Perlen der Kreativität geboren werden als auch zerstörerische Kräfte. Aber auch die nüchterne Zweckgebundenheit der Virtual Corporations kann als Bedrohung empfunden werden: Ein Team von online verbundenen Fachleuten ohne nationale Grenzen, die sich zur Bearbeitung eines Projekts vorübergehend zusammenschließen. Es gibt keinen Firmensitz, keine Verwaltung und nach dem Projektabschluß löst sich das Team auf.

Der freie Informationsaustausch per Internet ist besonders in Regionen mit eingeschränkten Bürgerrechten das einzige Ventil, über das sich Oppositionelle entgegen der Regierungspropaganda ausdrücken und informieren können. Das jüngste Beispiel bildete die flammende Rede der US-amerikanischen First Lady Hilary R. Clinton auf der Internationalen Frauenkonferenz in Peking. Ihre Angriffe gegen die Verletzung der Menschenrechte und die massive Einschränkung der Meinungsfreiheit in China wurden von den Medien des Gastgeberlandes totgeschwiegen. Wenige Stunden später aber stand der volle Redetext im Internet allen zur Verfügung.

Völlig neue Formen der Kommunikation über alle Grenzen hinweg mit all ihren Synergien schaffen über die online-Kultur hinaus auch veränderte gesellschaftliche Strukturen mit all ihren Chancen - aber auch Risiken. Obrigkeitliche Angriffe auf die Informationsfreiheit im Internet können also schwer absehbare Folgen nach sich ziehen.

Es hat den Anschein, als wäre es unser Los, daß die jeweiligen hysterischen Wellen aus den USA auch nach Deutschland schwappen. Das war schon beim McCarthyismus der fünfziger Jahre so, als die übertriebene Furcht vor Kommunisten zur Verfolgung tausender Intellektueller führte und den kalten Krieg auf die Spitze trieb. Und heute finden sich in Deutschland erste Ausläufer der amerikanischen Pornohysterie: Unter dem Schlachtruf "Bayern kämpft gegen Btx-Pornographie" surfen die Beamten der AG-EDV seit dem Frühjahr 1995 in den Datennetzen. Und wie der Leiter dieser Arbeitsgruppe, Kriminalhauptkommissar Karlheinz Moewes, erklärt, sind die Internet-Anbieter ein Ziel der Polizeiaktionen.

Kinder und Jugendliche vor der (verschwindend geringen Menge an) Pornographie zu schützen, das ist sicherlich das erklärte Ziel aller Beteiligten. Und auch die extremsten Verteidiger von Internet-Freiheit möchten ihre Kindern nicht dem Anblick harter Pornographie aussetzen. Die Frage ist nur, ob obrigkeitliche Maßnahmen dieses Ziel überhaupt erreichen können.


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Staatliche Maßnahmen wirkungslos

Die eingangs erwähnte Aktion der Staatsanwaltschaft gegen CompuServe geschah vor allem mit der Anschuldigung, daß auf den Servern des Onlinedienstes auch verschiedene NewsGroups zugreifbar waren, die pornografisches Material enthielten. Es ist für einen Provider technisch nicht durchführbar, ständig Hunderttausende von Postings in den ca. 12.000 NewsGroups des Internet inhaltlich zu kontrollieren. Eine denkbare Lösung wäre es, einschlägig bekannte Gruppen mit harter Pornographie nicht auf dem Server zu führen. Das können aber die Provider nicht einfach von sich aus bestimmen, denn das wäre Zensur. Hier ist also die Obrigkeit gefragt: Sie muß auf der Basis der Gesetze mitteilen, welche Gruppen verbotene Inhalte anbieten - genau genommen müßte sie sogar jedes einzelne Posting prüfen. Eine pauschale Ablehnung von ganzen NewsGroups wegen einzelner verbotener Inhalte ist sicher nicht im Rahmen der Gesetze. Selbst wenn der gordische Knoten einfach durchhauen würde durch das pauschale Verbot für alle deutschen Provider, z.B. 20 pornoverdächtige NewsGroups auf ihren Servern anzubieten, wäre der Effekt gleich Null. Zum einen werden NewsGroups aus der alt-Hierarchie blitzschnell geboren: Dann gibt es z.B. eine Gruppe alt.bienchen, in der weiterhin Pornographie zu greifbar ist. Selbst wenn es aber möglich wäre, auch solche Gruppen schnell in den Griff zu bekommen: Niemand kann einen Internetler daran hindern, sich einen NewsServer aus dem Ausland auszusuchen, der Aufwand dazu ist lächerlich gering.

Ein anderer, schwerwiegenderer Schritt wäre die Kontrolle aller inländischen Internetzugänge. Bei uns politisch nicht durchzusetzen, kann das jedoch in totalitären Regimes Realität sein. Auch das ist für das Internet kaum ein Hemmnis: Wenn es für den einzelnen Nutzer wichtig genug ist, dann wird er einen finanziellen Mehraufwand für den Anschluß über ausländische Provider gern verschmerzen. Noch preiswerter ist es, via Telnet passende Server im Ausland anzusteuern.

Alle Internetzugänge könnten theoretisch über eine zentrale Maschine geroutet werden, die dann als Kontrollinstrument dient. Diese Situation liegt tatsächlich in Australien (Zugang erst nach Registrierung) vor: Hier gibt es einen Hauptknoten in den USA, von dem aller Netzverkehr mit dem fünften Kontinent gebündelt wird. Der Eingangsknoten in Australien filtert die NewsGroup alt.binary.pictures.erotica aus. Kein australischer NewsServer hat sie im Programm. Trotzdem kann jeder Australier laden, was er möchte: Durch Telnet-Verbindungen zu ausländischen Servern oder notfalls durch Crosspostings in unverfänglichen Gruppen.

Bestimmte Reizwörter könnten ausgewählt werden, die damit verbundenen Botschaften per Software zu sperren. Ein großer Onlinedienst hat damit schon einige Erfahrungen gesammelt: Als das Wort "Brust" in den Katalog aufgenommen wurde, gab das einigen Ärger. Rezepte für pikante Entenbrust standen nicht mehr zur Verfügung, Ärzte konnten sich nicht mehr über Brustleiden austauschen, Brustkrebs-Selbsthilfegruppen sahen sich abgeschnitten. Abgesehen von der Undurchführbarkeit einer solchen Maßnahme: Verschlüsselte Nachrichten verstecken die Reizwörter.

Die einzige Antwort der Obrigkeit darauf wäre es, verschlüsselte Botschaften zu verbieten oder sperren. Auch das ist nicht realisierbar: Binäre Files können zwar verschlüsselte Nachrichten sein, aber auch Bilder, Videosequenzen, Tonfolgen oder Softwarecode. Sie zu unterbinden, das ergäbe einen Rückfall in die ASCII-Email Ära des Internet. Solch eine Maßnahme kann sich derzeit kein Land der Erde mehr leisten.

Noch eine Utopie: Selbst der Abbau aller Gateways und Hochgeschwindigkeitskabel für den Internetverkehr und die Zerstörung der Software würde zu keinem bleibenden Effekt führen. Solange es Computer, Modems und Telefonleitungen gibt, wird es auch ein - möglicherweise langsamer arbeitendes - Kommunikationsnetz geben. Und die wichtigste Software, die das Netz zusammenhält, ist schon in der Vergangenheit überwiegend von freiwillgen Enthusiasten aufgebaut worden.

Es erweist sich, daß die grundlegende Idee des Internet, nämlich Paul Barans Vorstellung breit verzweigter, miteinander komplex verbundener Netze sich zum Boumerang bei obrigkeitlichen Eingriffsversuchen entpuppt: Der Sinn des Internet ist es, gerade bei Störungen, Ausfällen und Behinderungen den freien Datenverkehr aufrecht zu erhalten. Fazit: Kaum eine der denkbaren Maßnahmen einer Obrigkeit kann den Zweck, nämlich den Schutz vor Pornographie, erfüllen. Von "oben" ist das Netz nicht zu kontrollieren.


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Wirksame Schutzmaßnahmen

Was bleibt, das ist gesunder Menschenverstand und ein klarer Kopf: Pornographie ist nicht aus dem Internet zu verbannen. Abgesehen davon, daß das technisch nicht möglich wäre, erhebt sich auch die Frage, ob ausgerechnet das Internet von allen Medien das prüdeste sein muß. Bücher, Magazine, Videos und Fernsehsendungen zeigen Erotik und Pornographie. Eine jüngst veröffentlichte Statistik stellt den durchschnittlichen Bürger des globalen Dorfes als 34 jährigen Mann vor. Natürlich spielt die Sexualität im Lebens eines solchen Durchschnitts-Internetlers eine wichtige Rolle - und sie auszuleben, hat jeder Mensch das Recht. Die Grenzen dieser Freiheit liegen da, wo anderen Menschen Schaden zugefügt werden könnte: Von daher verbieten sich harte Pornographie und die Konfrontation von Kindern mit Pornographie fast von selbst.

Es liegt im eigenen Interesse aller Internetler, die im Netz unausweichlich vorhandene Pornographie so zu organisieren, daß sie möglichst nur den daran interessierten Erwachsenen zugänglich wird. "Das Internet ist einer Stadt ähnlich", sagt Bob Smith, Direktor der Information Services Association, einer Lobby von Providern. "Wenn man hunderttausende von Leuten zusammenbringt, dann wird es darunter immer ein paar Problemfälle geben. Aber wir machen die Städte deswegen nicht zu oder sperren die Menschen in ihre Häuser. Wir versuchen, damit auf anderen Wegen fertig zu werden."

Einer der Wege stammt aus der Erkenntnis, daß präventive Restriktionen im Internet zwar unmöglich, die Verfolgung von stattgefundenen Verstößen gegen den §184 StGB dagegen aber häufiger möglich sind. Wenn also ein Unbelehrbarer harte Pornographie auf seine Webseiten in München eingespeist hat, dann ist er ebenso strafbar wie jemand, der sich den düsteren "Spaß" erlaubt, in einer Kinder-NewsGroup Pornobilder zu posten. In vielen Fällen sind die Urheber solcher Straftaten anhand der Header-Informationen und durch die Mitarbeit der betroffenen Provider schnell zu fassen - sofern sie im Geltungsbereich unserer Gestze leben. Die Anzahl solcher "Kinderschrecks" im Internet ist gottlob sehr gering. Häufig steckt hinter den Sensationsmeldungen zu Fällen dieser Art auch eine völlig andere Wahrheit.

Zugangsbeschränkungen für Jugendliche unter 18 Jahren sind in den einschlägigen Etablissements unserer Republik gang und gäbe. Sie dienen auch dem Selbstschutz ihrer Betreiber. Ähnliches spielt sich im Internet ab: Eine Reihe von Maßnahmen (z.B. Angabe der Kreditkartennummer und damit verbunden eine kostenpflichtige Nutzung) verhindert wirkungsvoll den unberechtigten Zugriff. Das auf diese Weise zu verdienende Geld sollte - hoffentlich - bald dafür sorgen, Schmuddelecken im Internet für Kinder unzugänglich zu machen.

Im Rahmen der bald nötigen Umstrukturierung des Internet wird es auch erforderlich sein, die 1990 definierten IP-Header dem neuen Anforderungen anzupassen. IP-Header sind so etwas wie Adressenaufkleber von Internet-Paketen, die jedes durch das Netz sausende Stück Information nach gewissen Kriterien kennzeichnen. Eines der transportierten Header-Merkmale könnte dabei aussagen, ob der Inhalt jugendgefährdend ist oder nicht. Eine Art freiwilliger Selbstkontrolle ergibt sich dadurch, daß jeder Einspeiser von Informationen ins Netz die passende Markierung vornimmt. Mit geeigneter Software läßt sich dann auf der Empfängerseite schon vor dem Laden der eigentlichen Information eine Unterscheidung treffen - und dann auch die Entscheidung zwischen Laden oder Nichtladen.

Auch die Provider selbst bemühen sich, Pornographie von Kindern fernzuhalten. Die Bemühungen um eine konzertierte Aktion deutscher Provider sind allerdings erst im Anfangsstadium. Leichter haben es da die großen zentralisierten Netzdienste. Trotz der oben geschilderten Pannen bei AOL gibt sich dieser Dienst große Mühe: Ein Account kann nur von Erwachsenen eingerichtet werden. Für die Kinder ist eine Art Sub-Account nötig, der vom Elternaccount aus einschränkbar ist. Noch einen Schritt weiter geht CompuServe: In einem neuen familiengerechten Informationsdienst (Codename WOW) wird ein Redaktionsteam eingesetzt, das die Inhalte bearbeitet und zusammenstellt bevor sie veröffentlicht werden. In beiden Fällen wird das Ergebnis aber mit dem Internet nicht mehr viel gemein haben.

Eine Reihe von Softwareherstellern haben sich mit der Aufgabe befaßt, pornografische Inhalte von Kindern und Jugendlichen fernzuhalten. Mehrere Programme (SurfWatch, NetNanny, CyberSitter, CyberPatrol, Internet Filter, Safe Surf, etc.) schaffen das mit unterschiedlichen Techniken. Allen gemein ist, daß sie einen mehr oder weniger großen Einsatz von elterlicher Sorgfaltspflicht verlangen.


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Leben in der virtuellen Stadt

Die Übernahme von Verantwortung für das Wohl ihrer Kinder durch Eltern, Lehrer und andere Bezugspersonen bildet zweifellos das wichtigste Glied in der vorgestellten Maßnahmenkette. Wie wird ein Kind auf seine eigene Sexualität vorbereitet? Wie nimmt es Liebe, Erotik und Sexualität in seiner Umwelt wahr, wie werden ihm diese Bereiche vorgelebt? Das sind letztendlich auch die Fragen, die den Umgang eines Kindes oder Jugendlichen mit Pornographie bestimmen.

Im normalen Alltag - auch fern von jeglichem Computernetz - kommt fast jedes Kind damit früher oder später in Berührung. Welcher Lehrer hat nicht schon unter dem Pult eines Schülers ein vergessenes Schmuddelheft hervorgeholt, welcher Schüler nicht schon mal heimlich - bei Abwesenheit der Eltern - den Pornofilm im Fernsehen nach 23.00 Uhr gesehen? Ein schlecht verstecktes Magazin, ein vom älteren Bruder oder Freund beschafftes Video - wißbegierige Kinder finden immer Wege, an das reizvolle Verbotene zu gelangen. Problematisch wird das dann, wenn sie mit niemandem über diese Erfahrung sprechen können, wenn es ihnen nicht gelingt, das Gesehene in den richtigen Kontext zu stellen.

Die ganze Welt ist voller Gefahren und Herausforderungen. Es ist die Aufgabe der Eltern, ihre Kinder davor zu schützen - aber auch sie anzuleiten, damit selbst fertig zu werden. So lernen sie, sich sicher auf den Straßen ihrer Stadt zu bewegen - und auch in der virtuellen Millionenstadt des Internet.


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