University of Bielefeld -  Faculty of technology
Networks and distributed Systems
Research group of Prof. Peter B. Ladkin, Ph.D.
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This Report prepared for the WWW by
Marco Gröning and Peter Ladkin

from the German original supplied by the Deutsche Luftfahrtbundesamt


Bericht

der Direccion General de Aeronautica Civil

der Dominikanischen Republik

über
die Untersuchung des Unfalles
mit dem Flugzeug Boeing B-757
am 06. Februar 1996
bei Puerto Plata

(Kein Datum)


1. Tatsachenermittlung

1. 1 Flugverlauf

Am 6. Februar 1996, gegen 03Uhr5 UTC, verunglückte das Flugzeug Boeing-757, Kennzeichen TC-GEN, mit dem von der Firma Birgenair ein Charterflug für die Fluggesellschaft Alas Nacionales durchgeführt werden sollte, wenige Minuten nach dem Start von dem internationalen Verkehrsflughafen Gregorio Luperón in Puerto Plata, Dominikanische Republik. Laut Flugplan sollte ein Flug nach Instrumentenflugregeln (IFR) durchgeführt werden. Das Flugzeug wurde zerstört und alle 176 Passagiere sowie 13 Besatzungsmitglieder kamen ums Leben. Die Maschine sollte um 03Uhr40 mit dem Zielflughafen Frankfurt/M. starten. In Gander/Kanada und Berlin-Schönefeld waren Zwischenlandungen vorgesehen.

Ungefähr 2 l/2 Stunden vor dem Abflug teilte die Abteilung Betrieb der Besatzung mit, daß aufgrund eines technischen Defektes, an der für diesen Flug ursprünglich vorgesehenen Boeing-767, Flugzeug und Besatzung ausgetauscht werden mußten.

Die neue Besatzung meldete sich gegen 02Uhr15 am Flughafen. Es gab eine zusätzliche Verzögerung von mehr als einer Stunde. da eine der Stewardessen verspätet eintraf.

Die Maschine begann schließich gegen 03h42'11sec mit dem Startlauf. Kurz darauf kam vom Kopiloten die Standardansage ,,80 Knoten'' (80 kts), woraufhin der verantwortliche Luftfahrzeugführer erklärte, sein Fahrtmesser funktioniere nicht. Der Kopilot bestätigte, daß sein Fahrtmesser normal arbeite. Der verantwortliche Luftzeugführer gab dem Kopiloten daraufhin die Anweisung, ihm die einzelnen Geschwindigkeiten zur Fortsetzung des Startlaufes anzusagen.

Der Start verlief normal und um 03h42'27sec erklärte der verantwortliche Luftfahrzeugführer, daß sein Fahrtmesser zu funktionieren beginne. Zu diesem Zeitpunkt befand sich das Flugzeug in einer Höhe von 576 Fuß und flog mit einer Geschwindigkeit über Grund (GS) von 121 Knoten. Um O3h44'07sec, in einer Höhe von 3500 Fuß und bei einer Geschwindigkeit über Grund von 273 Knoten ordnete der verantwortliche Luftfahrzeugführer die Aufschaltung des Autopiloten an. In diesem Augenblick erschien die Anzeige für die automatische Schubregelung (Auto-Throttle), mit eingeschalteten Vnav und Lnav- Funktionsmodi. Um 03h44'25sec meldete die EICAS-Anlage den Warnhinweis Rudder ratio/Mach Airspeed Trim. Kurz darauf, um 03h44'28sec, erklärte der verantwortliche Luftfahrzeugführer, daß etwas ungewöhnliches vor sich gehe, was er 15 Sekunden später wiederholte. In diesem Augenblick bemerkte auch der Kopilot, daß etwas nicht stimmte und sagte zum verantwortlichen Luftfahrzeugführer, sein Fahrtmesser zeige 200 Knoten an, weiterhin

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fallend. Das Flugzeug befand sich zu diesem Zeitpunkt in einer Höhe von 5344 Fuß, mit einer Geschwindigkeit über Grund von 327 Knoten und einem Längsneigungswinkel (pitch attitude) von -15,1° also der verantworliche Luftfahrzeugführer erwiderte, daß beide Geschwindigkeitsanzeigen keine korrekten Werte lieferten und fragte ,,was können wir tun?'' während er umgehend die Überprüfung einiger Sicherungen anordnte.

Um 03h45'04sec erklärte der verantwortliche Luftfahrzeugführer, daß bei einem Flugzeug, welches eine Zeit lang am Boden gestanden hat, etwas wie eine Asymmetrie der Höhenruuder oder ähnliches normal sei. 7 Sekunden später fügte er hinzu ,,denen glauben wir nicht`` (bezugnehmend auf die Warnhinweise des EICAS).

Um 03h45'28sec, in einer Höhe von 6688 Fuß, bei einer Geschwindigkeit über Grund von 352 Knoten und einem Längsneigungswinkel von +15,1° setzte bei aufgeschaltetem Autopiloten die Warnung für die Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit ein, was der verantwortliche Luftfahrzeugführer mit den Worten ,,das ist unwichtig'' kommentierte und die Anweisung gab, den Warnton abzuschalten.

In diesem Augenblick befand sich das Flugzeug in einer Höhe von 7040 Fuß. mit einer Geschwindigkeitsanzeige von 349 Knoten auf dem einen Anzeigegerät und einem Längsneigungswinkel von +14,8°.

Um 03h45'52sec setzte die Warnmeldung des Stick Shaker (Warnung für Stromungsabriß bei geringer Geschwindigkeit) ein, der Autopilot blieb noch aufgeschaltet, die automatische Schubregelung (auto-throttle) sowie Vnav. war dagegen abgeschaltet. In einer Höher von 7132 Fuß, mit einer angezeigten Geschwindigkeit über Grund von 323 Knoten und einem Längsneigungwinkel von +18,3° liefen beide Triebwerke mit reduzierter Leistung (EPR L = 1.114, EPR R = 1.152). Fünf Sekunden später liefen die Triebwerke wieder mit voller Leistung (EPR L = 1.620, EPR R = 1.585), der Längsneigungswinkel stieg auf +21,0° an und anschließend schaltete sich der Autopilot ab. Der Anstellwinkel variierte zwischen +21,0° und +5,0°.

Um 03h46'31sec, in einer Höhe von 5984 Fuß, einer Geschwindigkeit von 194 Knoten über Grund und einer Längsneigung von +14,4°, ging die Leistung beider Triebwerke wieder zurück (EPR L = 1.162, EPR R = 1.146). Im Cockpit herrschte erhebliche Verwirrung, der verantwortliche Luftfahrzeugführer sagte ,,Wir steigen nicht, was soll ich tun?`` während die Triebwerke weiterhin mit reduzierter Leistung arbeiteten, woraufhin der Kopilot antwortete ,,Sie müssen den Sinkflug stoppen, ich schalte den Höhenhaltemodus (altitude hold) ein``.

Einundzwanzig (21) Sekunden später, um 03h46'52sec, fragte der verantwortliche Luftfahrzeugführer die Leistungsdaten der Triebwerke ab und der Kopilot antwortete, beide

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Triebwerke seien gedrosselt. Daraufhin befahl der verantwortliche Luftfahrzeugführer umgehend: ,,Leistung, Leistung, sie darf nicht zurückgehen`` und der Kopilot antwortete ,,Okay, sie sind auf, sie sind auf``.

Um 03h46'57sec stieg die Triebwerkleistung wieder an (EPR L = 1.523, EPR R = 1.646). die Leistung des linken Triebwerks ging jedoch um 03h46'59sec wieder zurück während das rechte Triebwerk weiterhin mit maximaler Schubkraft arbeitete (EPR L = 1.251, EPR R= 1.622).

Um 03h47'03sec, in einer Höhe von 3520 Fuß, ohne Angabe der Geschwindigkeit über Grund, mit einer Langsneigung von -53.3°, die bis auf -80° zunahm und einem Querlagewinkel von -99.8°, blieb das Leistungsungleichgewicht praktisch unverändert (EPR L = 1.089 EPR R= 1.626).

Um 03h47'09sec setzte die Bodenannäherungswarnanlage (GPWS) (Ground Proximity Warning System) ,,Whoop, Whoop, Pull up`` in einer Höhe von 2368 Fuß, bei einer Längsneigung von -17.8° und einer Querlage von -9,0° ein, wobei sich diese Werte bis zum Aufschlag auf den Atlantischen Ozean ungefähr 14 nm nordöstlich von Puerto Plata, der mit einer Längsneigung von -34.3° und einer Querlage von -34,6° erfolgte, noch veränderten. (Zwei (2) Sekunden später erfolgte der Aufprall auf dem Atlantischen Ozean 14 nm nordöstlich von Puerto Plata, mit einer Längsneigung von -34,3° und einer Querlage von -34.6°.) Sämtliche Insassen des Flugzeugs kamen ums Leben und die Maschine wurde infolge des Absturzes vollständig zerstört.

1.2 Personenschäden

Verletzungen Besatzung Passagiere Gesamt
tödlich13176189
schwer000
leicht000
kein000
Gesamt13176189

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1.3 Schaden am Luftfahrzeug

Durch den Aufprall auf dem Wasser wurde das Flugzeug vollständig zerstört.

1.4 Sachschaden Dritter

Es wurden keine weiteren Schäden durch den Aufprall verursacht.

1.5 Angaben zur Besatzung

Verantwortlicher Luftfahrzeugsführer:

NameAhmet Erdem
Gesehlechtmännlich
Geburtsdatum12.3.1934
Alter62
Nationalitättürkisch
Art der ErlaubnisErlaubnis für Verkehrsflugzeugführer
Erlaubnis Nr.312
Letzte Tauglichkeitsuntersuchung12.3.95, gültig bis zum 12.3.1996

Musterberechtigungen:

mehrmotorige Flugzeuge 11.3.1968
Instrrumentenflugberechtigung für CAT II12.04.1994
MusterViscount 794 DC-9, B-707, B-727, DC-8, B-757-200
B-767-200, B-737-300
Auf B-757-20027.5.1992
Letzte Schulung12.3.1995 United Airline Flight Training Center, Simulator B-757, B-767

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Flugerfahrung:

Gesamtflugstunden24.750 Std.
Auf B-7571.875 Std.
innerhalb der letzten 3 Monate Dez. 199559 Std, 25 Min
Jan. 1996 69 Std, 00 Min
Febr. 1996 00 Std, 00 Min
Einsatz vor dem Unfallkein Einsatz seit dem 27. Januar 1996

Dritter Luftfahrzeugführer (zur Ablösung):

NameMuhlis Evrenesoglu
Geschlechtmännlich
Geburtsdatum18.07.1944
Alter51
Nationalitättürkisch
Art der ErlaubnisErlaubnis für Verkehrsflugzeugführer
Erlaubnis Nr.754
Letzte Tauglichkeitsuntersuchung29.11.1995. gültig bis zum 29.11.1996

Musterberechtigungen:

mehrmotorige Flugzeuge6.02.1978
Instrumentenflugberechtigung für CAT II13.04.1993
MusterC-47, C-160. PA-23, B-727, DC-9,
B-737-4O0, A-310,
B-757/767. A-300-B-4
Auf B-75715.3.1995
Letzte Schulung28.01.1996 Pan Am International Flight Academy Simulator B-757, B-767

Flugerfahrung:

Gesamtflugstunden15.000 Std
Auf B-757121 Std, 30 Min
Innerhalb der letzten 3 MonateDez. 199548 Std, 30 Min

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Jan. 1996 73 Std, 00 Min
Febr. 1996 00 Std, 00 Min
Einsatz vor dem Unfallkein Einsatz seit dem 27. Januar 1996

Zweiter Luftfahrzeugführer:

NameAyvkut Gergin
Geschlechtmännlich
Geburtsdatum4.04.1961
Alter34
Nationalitättürkisch
Art der ErlaubnisErlaubnis für Verkehrsflugzeugführer
Erlaubnis Nr.2870
Letzte Tauglichkeitsuntersuchung6.12 1995, gültig bis zum 6.12.1996

Musterberechtigungen:

mehrmotorige Flugzeuge9.09. 1993
MusterCE-500, AN-24, ATR 12, A-320,
B-757/767, A-300
Auf B-757-20016.03.1995
Letzte Schulung28.01.1996 Pan Am Intemational Flight Academy, Simulator B-757, B-767

Flugerfahrung:

Gesamtflugstunden3.500 Std
Auf B-75771 Std, 45 min
Innerhalb der letzten 3 Monate71 Std, 45 min
Einsatz vor dem Unfallkein Einsatz seit dem 27.Januar 1996
1.6 Angaben zum Luftfahrzeug
Flugzeug:
KennzeichenTC-GEN
MusterB-757-225
Baujahr1985

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SeriennummerSN 22206
LufttüchtigkeitszeugnisNo. 980 DGAC der Türkei
Höchstzulässige Startmasse108.864 kg
Gesamtbetriebszeit des Rumpfs29.269 Std
Gesamtanzahl der Umläufe13.499 Umläufe
Triebwerke:
BaumusterRB211-535E4
Seriennummer1.TW - 305112.TW - 30514
Gesamtbetriebszeit1.TW - 22 567 Std2.TW - 24 264 Std
Gesamtanzahl der Umläufe1.TW - 10 258 Uml.2.TW- 10918 Uml.

Uberprüfungen:

,,A``-Check16.01.1996 nach 29 200 Std 50 Min und
(alle 400 Std)16.01.1996 nach 29 200 Std 50 Min und
13 476 Umläufen
,,C``- Check
(alle 5000 Std o. 18 Monate)30.05.1995. nach 27 012 Std 55 Min und
12 613 Umläufen
,,S4C``- Check
(alle 12 000 Umläufe o. 18 Monate)25.07.1990, nach 17.289 Std und
8.689 Umläufen
,,SA`` Check
(alle 300 Umläufe)5.01.1996, nach 29.090 Std 50 Min und
13.451 Umläufen
,,SC``-Check
(alle 18 Monate o. 3000 Umläufe)30.05.1995, nach 27.012 Std 55 Min und
12.613 Umläufen
Verwendeter KraftstoffAV-JET

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1.7 Meteorologische Informationen

Für das Abfluggebiet von Puerto Plata wurde zwischen 2000 und 0200 Uhr Ortszeit ein Wind aus Ost bis Südwest mit 10 Knoten angegeben. Es herrschten gute Sichtbedingungen mit 1/8 bis 4/8 Wolken unterhalb von 1.800 Fuß und 4/8 bis 7/8 Wolken in ungefähr 7.000 Fuß. Um 2340 Uhr Ortszeit (0340 UTC) wurde leichter Niederschlag registriert, sowie einige stärkere Kondensationskerne in Richtung Süden und Nordwesten ,,Im Norden von Sosua liegen sich weder Gewitterzellen noch Niederschlag beobachten``. Die Kondensationskerne bildeten sich ca. 10 km südlich davon.

1.8 Navigationshilfen

Es gab keinen Hinweis auf eine Störung der Funknavigationshilfen oder Radargeräte.

1.9 Funkverkehr

Es gab keinen Hinweis auf eine Störung des Funkverkehrs.

1.10 Angaben zum Flugplatz

Der internationale Verkehrsflughafen ,,Gral. Gregorio Luperón``, La Unión, Puerto Plata, Dominikanische Republik, liegt im Norden der Insel und hat folgende Koordinaten:
19° 45' 28.4"N und 070° 34'11.8"W.

Die Start-und Landebahn ist 3080 m lang, 46 m breit und liegt in Ost-West Richtung (08/26). Die Schwellenhöhe beträgt l6.4 Fuß in Richtung 08 und 15,9 Fuß in Richtung 26. Es handelt sich um eine Betonbahn mit einem Vorfeld von von 41,325 m².

1.11 Flugschreiber

Das Flugzeug verfügt über eine Tonaufzeichnungsanlage (Cockpit Voice Recorder (CVR)) der Marke Fairchild, Modell A-100, Seriennummer 2304 und einen Flugdatenschreiber (Flight Data Recorder (FDR)) der Marke Allied Signal (Sundstrand), Modell UFDR, Seriennummer 6596. Beide Geräte waren im Heck der Maschine untergebracht.

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Beide Flugschreiber gingen mit dem Flugzeug unter und wurden in einer Tiefe von 7200 Fuß geortet. Am 28. Februar 1996 gelang es einem Team der US-Marine mit Hilfe eines Bergungsgerätes, das per Glasfaserkabel ferngesteuert wurde und bis in eine Tiefe von 20.000 Fuß vordringen kann (CURV III), in einer ca. zweistündigen Aktion beide Geräte zu bergen. die daraufhin umgehend zur Untersuchung zum National Transportation Safety Board (NTSB) nach Washington, D.C. gebracht wurden.

Auswertung der Flugschreiber:

Anhand der von den Flugschreibern aufgezeichneten Daten ließ sich feststellen, daß das Aufzeichnungssystem normal arbeitete. Die Datensequenz des FDR setzt jedoch gegen 03h44'16sec für eine Sekunde aus, daher können die Werte für die berechtigte Fluggeschwindigkeit (CAS) nicht mit den übrigen aufgezeichneten Parametern in Beziehung gesetzt werden und sind als ungültig zu betrachten. Die Werte der berichtigten Fluggeschwindigkeit entsprechen jedoch einem ,,Totalausfall des Pitotrohrs des verantwortlichen Luftfahrzeugführers`` . Steigt ein Flugzeug mit einem ausgefallenen Pitotrohr, erhöht sich ebenfalls seine angezeigte Fluggeschwindigkeit (IAS). Der Geschwindigkeitsmesser übersteigt möglicherweise die maximale Betriebsgeschwindigkeit (IAS) und der betroffene Air Data Computer gibt eine Warnung für die Überschreitung der maximalen Geschwindigkeit (overspeed warning) aus.

1.12 Angaben über Wrack und Aufprall

Die Überreste des durch den Aufprall vollständig zerstörten Flugzeugs versinken im Meer. Mithilfe von Unterwasserkameras konnten die Wrackteile geortet und eine Skizze vom Fundort angefertigt werden.

1.13 Medizinische und pathologische Angaben

Nach den Ergebnissen der vom Arzteteam durchgeführten toxikologischen Untersuchungen gab es keinerlei Anzeichen dafür, daß vor dem Eintritt des Todes giftige Verbrennungsgase oder Kohlenmonoxid eingeatmet wurden. Dies läßt den Schluß zu, daß es vor dem Absturz an Bord weder Feuer gegeben hat noch das Verbrennungsgase freigeworden sind, was die Möglichkeit eines Brandes oder einer Explosion vor dem Absturz ausschließt.

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1.14 Brand

Weder an den Wrackteilen noch an den geborgenen Leichen gab es Anzeichen für einen Brand.

1.15 Überlebensmöglichkeiten

Aufgrund der Heftigkeit des Aufpralls geht man davon aus, daß niemand den Absturz hätte überleben können.

1.16 Weiterführende Untersuchungen

In Übereinstimmung mit den vom Hersteller durchgeführten Berechnungen, führte ein Ausfall des Pitotsystems während des Steigflugs der Maschine zu einer Verringerung des statischen Druckes im System, was einen direkten proportionalen Anstieg der angezeigten Fluggeschwindigkeit (IAS) mit zunehmender Flughöhe zur Folge hatte. Der vom Flugschreiber (FDR) angezeigte Anstieg stimmt mit den Berechnungen des Herstellers überein. Auch bei den durchgeführten Versuchen im Simulator (Simulation von Eis im Pitotrohr) kam es zu den gleichen Anzeigen wie in der verunfallten Maschine. In der durchgeführten Simulation wurden die gleichen Einstellungen des Autopiloten zugrundegelegt und sowohl die Übergeschwindigkeitswarnung als auch die Warnung des Stick Shaker traten in der gleichen Form auf wie bei dem Unglücksflug.

1.17 Information über Organisation und Verfahren

Die Operationsbasis der Firma Birgenair befindet sich in Istanbul, Türkei. Von dort aus werden Flugbetrieb, Vertriebsabteilung und Instandhaltungsbasis geleitet. Die Unglücksmaschine stammt aus Puerto Plata und wird von der Firma Airline Services abgefertigt, die zu diesem Zweck einen entsprechenden Vertrag mit Birgenair besitzt. Die Schulung der Flugbesatzung erfolgte an verschiedenen Flugschulen oder privaten Lehranstalten, z.B. im United Airline Flight Training Center, an der Pan Am International Flight Academy, etc.

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1.18 Zusätzliche Informationen

Keine

1.19 Untersuchungstechniken

Durch den Einsatz von Spitzentechnologie konnten die beiden Flugschreiber des Flugzeugs geortet und geborgen sowie die Lage der Wrackteile festgestellt werden obwohl diese bis in eine Tiefe von 7200 Fuß gesunken waren. Siehe Zusatzbericht.

2. Auswertung

2.1 Allgemeines

Die Bodeneinrichtungen auf dem internationalen Flughafen Gregorio Luperón in Puerto Plata, Dominikanische Republik, die Flugverkehrsdienste und der Funkverkehr zwischen Luft und Boden arbeiteten völlig normal und trugen nicht zum Unglück bei.

Der Flug war als Transatlanticflug bei Nacht geplant, das Flugzeug war für Flüge nach Instrumentenflugregeln (IFR) ausgerüstet. Die vorherrschenden meteorologischen Bedingungen und die Wettervorhersage für das betreffende Gebiet waren günstig; folglich kann auch das nicht als begünstigender Faktor für den Unfall angesehen werden.

Die Abfertigungsverfahren für das Flugzeug einschließlich Masse und Schwerpunktlage sowie die Leistungsberechnung (performance) waren für den Abflughafen geeignet und lagen innerhalb der Grenzwerte für das Flugzeug. Aufgrund der geplanten Flugzeit für die Flugstrecke bis zum Zielflughafen war ein drittes Flugbesatzungsmitglied erforderlich, das sich auch an Bord befand. Dies kann also auch nicht als begünstigender Faktor für den Unfall angesehen werden.

Die Leistung der Triebwerke entsprach den Konstruktionsangaben des Herstellers und der Zulassung der zuständigen Luftfahrtbehörden. Die Struktur des Flugzeuges blieb, laut den gewonnenen Erkenntnissen, bis zum Aufprall auf dem Wasser intakt. Es gibt keine Anzeichen für einen Brand, eine Explosion oder eine andere feindliche Aktion vor dem Aufprall.

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2.2 Betriebliche Faktoren

Die Flugbesatzung war entsprechend den internationalen Anforderungen für die B-757 ausgebildet. Es wurde jedoch festgestellt, daß die Besatzungsmitglieder keine Ausbildung hatten, um die außergewöhnliche Situation, die bei diesem Flug auftrat, zu erkennen, zu analysieren und angemessen darauf zu reagieren.

Während des Startlaufes sagte der Copilot, unter Bezugnahme auf seine Fahrtmesseranlage, ,,80 Knoten`` an. Der verantwortliche Luftfahrzeugführer antwortete ihm mit ,,Gecheckt``, zwei (2) Sekunden später sagte er jedoch ,,Mein Fahrtmesser arbeitet nicht``. Während die Maschine den Startlauf fortsetzte, prüfte der verantwortliche Luftfahrzeugsführer ob der Fahrtmesser des Copiloten funktionstüchtig war und befahl ihm ,,Du sagst sie mir an``, womit er den Copiloten anwies, ihm die Geschwindigkeiten nach seinem (dem des Copiloten. A.d.Ü.) Fahrtmesser anzusagen. Zwei (2) Sekunden später sagte der Copilot ,,V1`` und ,,Rotation`` und vier(4) Sekunden später hob das Flugzeug ab.

Ein Check bei 80 Knoten sollte u.a. durchgeführt werden, um die Leistung der Triebwerke und der Fluginstrumente während des Startlaufes zu überprüfen. Die Untersuchungskommission kam zu dem Schluß, daß der verantwortliche Luftfahrzeugführer den Ausfall des Fahrtmessers unterschätzte und entgegen den festgelegten betrieblichen Maßnahmen den Start fortsetzte.

Nach dem Unfall durchgeführte Leistungsberechnungen ergaben, daß das verunfallte Flugzeug nur eine Strecke von 2.280 Fuß der Bahn benötigt hätte, um bei 80 Knoten abzubremsen. Desweiteren wurde errechnet, daß der verantwortliche Luftfahrzeugführer bis ,,Vl`` beschleunigen konnte und den Start immer noch auf einer ausreichend langen Bahn hätte abbrechen können.

Die Birgenair-Maschine B-757 verfügte über fünf (5) Geschwindigkeitsanzeigen, die folgendermaßen verteilt waren: Anzeige des verantwortlichen Luftfahrzeugführers, Anzeige des Copiloten, Stand-by Anzeige und zwei Anzeigen für die Geschwindigkeit über Grund (GS) auf den EFIS Monitoren des verantwortlichen sowie des zweiten Luftfahrzeugführers. Der Flugdatenschreiber (FDR) zeichnet nur die angezeigte Geschwindigkeit (KIAS) des Flugrechners (AIR DATA COMPUTER) des verantwortlichen Luftfahrzeugführers auf. Die aufgezeichnete Geschwindigkeit über Grund wurde aus dem Trägheitsnavigationssystem entnommen.

Die Aufzeichnungen der beiden Flugschreiber (CVR und FDR) bestätigten die Äußerung

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des verantwortlichen Luftfahrzeugführers in ca. 500 Fuß und bei 120 KIAS: ,,Sie fängt an zu arbeiten`` (die Fahrtmesseranlage, A.d.Ü.)

Die Untersuchung ergab, daß diese Anzeige das Ergebnis einer Kombination aus der Zunahme der Flughöhe des Flugzeugs und der daraus resultierenden Verringerung des statischen Druckes in dem ausgefallenen Pitotrohr des verantwortlichen Luftfahrzeugführers war. Diese beiden Faktoren führten dazu, daß der ADC einen Geschwindigkeitsanstieg anzeigte.

Die Untersuchungskommission kam zu dem Schluß, daß der verantwortliche Luftfahrzeugführer den abweichenden Fluggeschwindigkeitswerten beim Start aufgrund einer scheinbar korrekten Anzeige in der Anfangsphase des Steigfluges nicht genug Bedeutung beigemessen hat. CVR und FDR zeigten an, daß im Cockpit normale Verfahren durchgeführt worden waren, d.h. die Landeklappen waren eingefahren, Standard-Funkverkehr beim Abflug wurde durchgeführt, die Checkliste nach dem Start wurde abgearbeitet und die entsprechenden Modi des Autopiloten für den weiteren Steigflug gewählt.

Die Analyse des FDR ergab jedoch, daß die Längsneigung des Flugzeugs beim Steigflug langsam bis auf ca. 14° anstieg, während es ungefähr 4300 Fuß und 300 KIAS erreichte. In diesem Augenbliek erschien auf dem EICAS-System die Warnmeldung Rudder Ratio/Mach Airspeed Trim. Der verantwortliche Luftfahrzeugführer bestätigte ,,etwas Ungewöhnliches, es gibt einige Probleme`` und ,,okay, etwas funktioniert nicht, seht ihr das?`` Die Flugbesatzung versuchte allerdings nicht, den Ursachen für die Warnsignale nachzugehen oder Korrekturmaßnahmen durchzuführen.

Der Copilot bestätigte ,,etwas funktioniert hier nicht, jetzt ist meine nur auf zweihundert (200) und fällt weiter, Effendi``. Die EFIS-Anzeige der Geschwindigkeit über Grund betrug zu diesem Zeitpunkt ca. 212 Knoten. Der Copilot sagte zweihundert (200), und die Untersuchungskommission schlußfolgerte daraus, daß diese Geschwindigkeit korrekt war, denn eine Anzeige von 200 KIAS kam vom ADC für den Copiloten und dessen Pitotsystem. Keines der Besatzungsmitglieder erwähnte den Stand-by Fahrtmesser im Cockpit oder die EFIS-Anzeige der Geschwindigkeit über Grund.

Die Untersuchungskommission kam zu dem Schluß, daß es im Anschluß an diese Diskussion ein weiteres Mißverständnis zwischen den Besatzungsmitgliedern gab, daß zu einem Zeitpunkt auftrat, als die Flugbesatzung mit der Analyse der unterschiedlichen Fluggeschwindigkeitswerte und der Wahl geeigneter Maßnahmen beschäftigt war. Der verantwortliche Luftfahrzeugführer sagte ,,Beide funktionieren nicht richtig, was

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können wir tun?`` und ,,Wir sollten die Sicherungen überprüfen!``. Der Copilot antwortete mit ,,Ja``, aber der verantwortliche Luftfahrzeugführer sagte ,,Anzeige eins funktioniert einwandfrei``. Die Untersuchungsführer kamen zu dem Schluß, daß sich diese Diskussion auf die Fluggeschwindigkeitsanzeige in der Mitte des Instrumentenbrettes bezog.

Obwohl die Aussagen des verantwortlichen und des zweiten Luftfahrzeugführers darauf hindeuten, daß beide erkannt hatten, daß die Stand-by Anzeige korrekte Werte lieferte, schienen sie die Bedeutung dieser Anzeige als Vergleichsgrundlage nicht zu erkennen. Keines der drei Besatzungsmitglieder schlug geeignete Maßnahmen vor, um die vorhandenen Anzeigen zu vergleichen oder auf ,,Alternate Source`` umzuschalten, um die Fluggeschwindigkeitswerte vom ADC des Copiloten und des zugehörigen Pitotsystems zu erhalten. Die Stand-by Anzeige hätte ebenfalls als Referenzgröße der Fluggeschwindigkeit für das Autopilot-System dienen können. Das Unvermögen der Flugbesatzung, geeignete Maßnahmen zu ergreifen oder eine Erklärung für die sinkenden Fluggeschwindigkeitswerte auf den EFIS-Monitoren zu finden, deuten auf fehlende Kenntnisse bezüglich der Flugzeugsysteme und der Cockpitumgebung hin. Der Flugbesatzung fehlten die Grundlagen des Crew Resource Management (CRM).

Anstatt konkrete Maßnahmen zur Bestimmung einer gültigen Referenzgröße für die Fluggeschwindigkeit und zur Kontrolle des Längsneigungswinkels durchzuführen, begann der verantwortliche Luftfahrzeugführer eine Diskussion, die dazu führte, daß die Flugbesatzung das Problem der voneinander abweichenden Geschwindigkeitsanzeigen unterschätzte. Er beeinflußte die übrigen Besatzungsmitglieder mit seinen Äußerungen, daß ,,das so üblich sei`` da die Maschine nicht geflogen war und am Boden gestanden hatte, und ,,das glauben wir nicht``. Seine Einschätzung setzte sich im Cockpit durch und daraufhin folgten neunzehn (19) Sekunden des Schweigens. Anschließend sagte das dritte Besatzungsmitglied ,,Soll ich die Sicherung ziehen, um zu sehen was passiert?``

Das Betriebshandbuch der Birgenair, Band 3, enthält unter der Überschrift ,,Flug mit unzuverlässiger Geschwindigkeitsanzeige`` Verfahrensanweisungen und Flugleistungsdaten und gibt Empfehlungen für die Längsneigung des Flugzeugs und die Schubeinstellungen der Triebwerke (normalerweise wird EPR in %, Nl, gefordert), um Werte zur Durchführung von Steigflug, Reiseflug und Landung zu erhalten. Während das verunfallte Flugzeug seinen Steigflug fortsetzte, sprachen die Besatzungsmitglieder nicht miteinander oder ließen auf andere Weise erkennen, daß ihnen anwendbare Verfahrensweisen bekannt waren. Keiner von ihnen berücksichtigte die außergewöhnliche Längsneigung, die die Maschine mittlerweile erreicht hatte oder die Ausweichanzeigen zur Angabe der Fluggeschwindigkeit, die im Cockpit mehrfach verfügbar waren.

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Während der letzten zwei (2) Flugminuten hätten noch geeignete Maßnahmen seitens der Flugbesatzung getroffen werden können, um die Lage des Flugzeugs zu korrigieren und den Kontrollverlust zu vermeiden. Die Wiederholung des Fluges in einem Flugsimulator ermöglichte der Untersuchungskommission die Überprüfung von Alternativmaßnahmen.

Um 3h45'28sec zeichneten CVR und FDR die Warnung für die Überschreitung der maximalen Geschwindigkeit auf, die im ADC des verantwortlichen Flugzeugführers bei angezeigten 353 KIAS ausgelöst wurde und neun (9) Sekunden dauerte. Zu diesem Zeitpunkt betrug die Geschwindigkeit über Grund 199 Knoten, die Höhe 6700 Fuß und der Längsneigungswinkel 15°. Das Flugzeug befand sich im stabilen Flugzustand und wäre vollständig steuerbar gewesen, wenn der Längsneigungswinkel verringert worden wäre.

Um 3h45'28sec zeigte der FDR an, daß die Flugbesatzung den VNAV-Modus des Autopiloten abgeschaltet und auf VS (Vertical Speed) umgeschaltet hatte. Der Längsneigungswinkel begann auf mehr als 15° anzusteigen. Einige Sekunden später schaltete die Flugbesatzung die automatische Leistungsregelung für die Triebwerke (auto-throttle) ab und die EPR-Werte begannen zu sinken. Die Untersuchungskommission schloß daraus, daß die Besatzung die Schubhebel zurücknahm, und den Höhenruderausschlag durch Ziehen vergrößerte.

Um 3h45'52sec zeigte der FDR an, daß die Längsneigung einen Winkel von +18° erreicht hatte und der CVR zeichnete das Warnsignal des Stick Shaker auf. Die EPR-Werte stiegen nach der Aktivierung des Stick Shaker wieder auf 1.6 (vorheriges Niveau) an. Eine Sekunde später schaltete sich der Autopilot ab, da die Grenzwerte für das Autopilot-System überschritten waren. Nach dem Abschalten des Autopiloten befand sich das Flugzeug für die Dauer von ca. einer (1) Minute in einer Fluglage mit positiver Längsneigung (Bug nach oben).

Das Flugzeug schwankte abwechselnd nach rechts und links und sank bis auf ungefähr 5OOO Fuß. Während dieser Phase sank die Geschwindigkeit über Grund laut EFIS bis auf ca. 140 Knoten. Die Längsneigung nahm schlagartig negative Werte an (Bug nach unten).

Während einer dem Unglücksflug ähnelnden Simulation im Flugsimulator gelang es den Mitgliedern der Untersuchungskommission, die eine Musterberechtigung für die B-757 besaßen, ähnliche Flugsituationen zu meistern, indem sie maximalen Schub gaben und die Steuerung des Flugzeugs so betätigten, daß die Maschine beim Eintritt in den überzogenen Flugzustand abgefangen werden konnte. Die Firma Boeing teilte der Untersuchungskommission mit, daß ihre Ingenieure mit einem Flugzeug, das sich in der Entwicklungsphase befand, auf einem Testflug, aus Versehen in eine ähnliche Situation geraten war, sie jedoch in der Lage waren, durch ein Abfangmanöver beim Eintritt in den überzogenen Flugzu-

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stand die Kontrolle über das Flugzeug wiederzuerlangen.

Anhand der Daten der Tonaufzeichnungslage im Cockpit (CVR) und des Flugdatenschreibers (FDR) läßt sich feststellen, daß die Flugbesatzung des verunfallten Flugzeugs nach der Aktivierung des Stick Shaker um 3h45'52sec keinen Versuch unternahm um das Flugzeug aus dem überzogenen Flugzustand wieder unter Kontrolle zu bringen. Im Gegensatz dazu herrschte Verwirrung im Cockpit. Zweimal (2) sagte der dritte Luftfahrzeugführer ,,ADI`` (Fluglageanzeiger). Die Untersuchungskommission geht davon aus, daß dieser Luftfahrzeugführer der Besatzung damit vorschlagen wollte, das Flugzeug in den erforderlichen Flugzustand (geringerer Anstellwinkel) zu manövrieren. Die Besatzung diskutierte über die Erhöhung oder Verringerung der Triebwerkleistung. Während dieser Zeit sagte der Copilot ,,Bug nach unten``, ,,vielleicht gleicht das aus, ich schalte um auf Höhenhaltung, Effendi``. Um 3h46'47sec sagte der verantwortliche Luftfahrzeugführer ,,Select, select`` (,,schalten, schalten``).

Nach den Aufzeichnungen des Flugdatenschreibers (FDR) war der Autopilot bereits abgeschaltet und daher der Höhenhaltemodus nicht funktionsfähig. Die Untersuchungskommission schlußfolgerte. daß unter der Flugbesatzung weiterhin Verwirrung herrschte während das Flugzeug unkontrolliert ins Meer stützte.

Während des Sinkflugs schaltete sich die Bodenannäherungswarnanlage (GPWS) ein, was für die Flugbesatzung jedoch aufgrund des vorherigen Kontrollverlustes keine Bedeutung hatte. Die Aufzeichnung der Daten endet um 03h47'17sec.

Hinsichtlich der Flugbesatzung kam die Untersuchungskommission zu dem Schluß, daß sich die unter den Besatzungsmitgliedern herrschende Verwirrung auf die Unkenntnis der Flugzeugsysteme und die fehlende Disziplin bei der Vorgehensweise zurückführen ließ. Der endgültige Kontrollverlust trat ein als die Besatzung die Aktivierung des Stick Shaker nicht als unmittelbare Warnung vor dem Eintritt in den überzogenen Flugzustand erkannte, da sie keine Maßnahmen zum Abfangen des Flugzeugs durchführte.

2.3 Instandhaltung

Das Flugzeug war ordnungsgemäß zum internationalen Luftverkehr zugelassen. Die gemäß den internationalen Lufttüchtigkeitsforderungen vorgeschriebenen Inspektionen wurden durchgeführt. Es wurde jedoch festgestellt, daß an dem Flugzeug am Boden in Puerto Plata nicht die empfohlenen Wartungsmaßnahmen durchgeführt worden waren.

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Während der Zeit, in der sich das Flugzeug am Boden befand, wurde es zwanzig (20) Tage lang nicht geflogen. Während dieser Zeit wurde eine Inspektion der Triebwerke durchgeführt, was einen Triebwerktest am Boden vor dem Start erforderlich machte. Die Untersuchungskommission geht davon aus, daß die Triebwerkabdeckung und die Abdeckungen der Pitotrohre vor bzw. nach dem Triebwerktest am Boden nicht installiert waren.

Die Auswertung der Tonaufzeichnungsanlage im Cockpit (CVR) und des Flugdatenschreibers (FDR) ergab, daß dem verantwortlichen Luftfahrzeugführer während des Startlaufes keine Fluggeschwindigkeit angezeigt wurde und, daß die Anzeige während des Steigfluges inkorrekt war. Die Fluggeschwindigkeitswerte, die während des Steigfluges auf der Fahrtmesseranlage des verantwortlichen Luftfahrzeugführers angezeigt wurden, resultierten aus einer Fehlfunktion, die durch den Ausfall des linken oberen Pitotrohres hervorgerufen worden war. Das Flugzeug stürzte ins Meer, die Trümmer wurden nicht geborgen. Aus diesem Grund konnte die genaue Ursache für den Ausfall des Pitotrohres nicht ermittelt werden.

Die Untersuchungsbehörden kamen jedoch zu dem Schluß, daß die wahrscheinlichste Ursache für den Ausfall des Pitotrohres Schmutz und/oder Reste eines Insektennestes waren, die in das Pitotrohr gelangten als sich das Flugzeug in Puerto Plata am Boden befand.

Abgesehen davon, daß sich das Flugzeug bis zu dem Unglücksflug während eines Zeitraumes von zwanzig (20) Tagen am Boden befand und nicht geflogen wurde, wurde es auch ohne die in den Wartungsanweisungen des Herstellers empfohlene Überprüfung des statischen Drucksystems wieder im Flugbetrieb eingesetzt. Wäre diese Überprüfung am Boden im Rahmen der Wiederaufnahme des Flugbetriebs durchgeführt worden, wäre das ausgefallene Pitotrohr entdeckt worden und hätte vor Beginn des Fluges repariert werden können. Die Untersuchungskommission ist zu dem Schluß gekommen, daß der Ausfall des Pitotrohrs nicht die wahrscheinliche Ursache für den Absturz war, aber dennoch ein Faktor, der dazu beigetragen hat.

2.4 Flugbesatzung

Die drei (3) Mitglieder der Flugbesatzung verfügten über ein aktuelles Tauglichkeitszeugnis, mit dem ihre Eignung für den Flugdienst nachgewiesen wurde. Der verantwortliche Luftfahrzeugführer war bereits 62 Jahre alt, was ihn in einigen Ländern bereits von der Tätigkeit als verantwortlicher Luftfahrzeugführer ausgeschlossen hätte.

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Im Rahmen der Untersuchung konnte nicht ermittelt werden, welchen Aktivitäten die Flugbesatzungsmitglieder außerhalb ihrer Dienstzeit bis zu ihrer Einteilung für den Unglücksflug nachgegangen sind. Einschätzungen post mortem waren nicht möglich. Aus diesem Grund konnte die Einsatzfähigkeit der Flugbesatzung nicht überprüft werden.

2.5 Verwaltung der Fluggesellschaft

Die Umstände dieses Unglücks deuten darauf hin, daß zwar in die externe Schulung der Flugbesatzung investiert wurde, die auch den erforderlichen Anforderungen entsprach, daß die Schulungsmaßnahmen von der Flugbesatzung jedoch nicht wie gewünscht oder erwartet umgesetzt wurden. Die Flugbesatzungsmitglieder wurden in ,,Rekordzeit`` ausgebildet, verfügten jedoch weder über ausreichende grundlegende Fliegerische Fähigkeiten noch über Kenntnisse zu den Flugzeugsystemen, zu Vorgehensweise und Disziplin, um anhand der Fluggeschwindigkeitsanzeige (pilot flying) oder des Autopilot-Systems zuverlässige Geschwindigkeitsdaten zu erhalten und zu überprüfen.

Die Flugbesatzung berücksichtigte weder den Abschnitt ,,Flug mit unzuverlässiger Geschwindigkeitsanzeige`` im Betriebshandbuch der B-757, noch war sie in der Lage, den Übergang in den überzogenen Flugzustand zu erkennen und diesem entgegenzusteuern. Desweiteren herrschte völlige Unkenntnis über das Strategie- und Verhaltenskonzept (Crew Resource Management) zur Bewältigung von außergewöhnlichem Situationen im Fluge.

Die Untersuchungskommission ist der Auffassung, daß dieses Unglück ein Zeichen dafür ist, daß die Anforderungen, die weltweit an die Schulung von Flugbesatzungsmitgliedern gestellt werden, nicht mit dem Wachstum und der Modernisierung der Luftverkehrsindustrie und der Flugzeugentwicklung Schritt gehalten haben. Desweiteren ist man der Meinung, daß einzelne Luftfahrtbehörden ihre Ausbildungsanforderungen einer Revision unterziehen sollten, um die maximale Leistungsfähigkeit der Flugbesatzungen bei der Ausbildung stärker in den Mittelpunkt zu rücken.

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3. Schlußfolgerungen

Die wahrscheinliche Unglücksursache lag in dem Unvermögen der Flugbesatzung, die Aktivierung des Stick Shaker als unmittelbare Warnung für den Übergang in den überzogenen Flugzustand zu erkennen und die Unfähigkeit, die entsprechenden Verfahren zur Behebung dieses Flugzustandes durchzuführen. Vor der Warnung durch den Stick Shaker hatten eine fehlerhafte Anzeige des Anstiegs der Fluggeschwindigkeit und die Warnung für die Überschreitung der maximalen Geschwindigkeit zur Verwirrung der Besatzung geführt.

Eine Reihe von Faktoren führte zu dem Unglück

Disziplin der Flugbesatzung, Anwendung des Cockpit Resource Management, Durchführung von Verfahren und grundlegende fliegerische Fähigkeiten.

Geringe Kenntnisse über das Flugzeug seitens der Flugbesatzung: Flugzeugsysteme, Fluggeschwindigkeitsanzeigen, Autopilot, Verfahren des Flugzeugs, Auswahl eines Ausweichinstruments, Flug mit unzuverlässiger Geschwindigkeitsanzeige.

Durchführung von Instandhaltungsarbeiten - mangelhafte Durchführung der Wartungsarbeiten durch das Nichtanbringen der Abdeckungen für das Pitotsystem als sich das Flugzeug am Boden befand, fehlende Kontrolle des Pitotsystems vor dem erneuten Einsatz der Maschine nachdem das Flugzeug längere Zeit am Boden gestanden hatte.

Zusätzliche Faktoren: Möglicherweise befand sich die Besatzung in einem Zustand körperlicher und geistiger Ermüdung und war auf den Flug nicht vorbereitet, da der Einsatz unerwartet und innerhalb der Freizeit der Besatzung erholte.

Der verantwortliche Luftfahrzeugführer wäre aufgrund seines Alters (62 Jahre) in einigen Ländern bereits von einer Tätigkeit als verantwortlicher Luftfahrzeugführer ausgeschlossen gewesen.

Die Ausbildung der Firma Birgenair umfaßte kein Crew Resource Management und bestand aus einer Kombination von Schulungsmaßnahmen außerhalb des Unternehmens, die nicht kontinuierlich durchgeführt wurden und deren Inhalte nicht auf die maximale Lei-

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stungsfähigkeit der Flugbesatzung ausgerichtet waren.

Das Betriebshandbuch der Boeing-757/767 enthält keine detaillierten Angaben für den Umgang der Flugbesatzung mit entsprechenden Checklisten um Abweichungen zwischen den Fluggeschwindigkeitsanzeigen, die gleichzeitige Aktivierung der Mach/Airspeed Trim Warnung und die Verbindung zu den EICAS Systemen, Warnmeldungen und einen Flug mit unzuverlässiger Fluggeschwindigkeitsanzeige zu erkennen.

Das EICAS-System der Boeing 757/767 enthält keine Warnmeldung wie ,,Vorsicht`` oder ,,Achtung``, wenn es Anzeichen für eine fehlerhafte Fluggeschwindigkeitsanzeige gibt.

4. Empfehlungen

Als Ergebnis der Untersuchung erteilt die Flugunfalluntersuchungsstelle (Junta Investigadora de Accidentes Aereos (JIAA)) der dominikanischen Luftfahrtbehörde (Dirección General de Aeronáutica Civil) folgende Sicherheitsempfehlungen:

An die internationale Organisation für Zivilluftfahrt (ICAO):

Herausgabe einer Lufttüchtigkeitsanweisung in der die Überarbeitung des Betriebshandbuches der Boeing 757/767 gefordert wird, um die Luftfahrzeugführer darauf hinzuweisen, daß das gleichzeitige Auftreten der Warnmeldungen ,,Mach/SPD Trim`` und ,,Rudder Ratio`` ein Hinweis auf Abweichungen bei den Anzeigeinstrumenten ist (Fahrtmesser).

Aufforderung an die Firma Boeing (Boeing Commercial Airplane Group), das Alarmsystem für die Flugbesatzung bei der Boeing 757/767 dahingehend zu verändern, daß ein Warnhinweis erscheint (CAUTION ALERT) sobald eine fehlerhafte Geschwindigkeitsanzeige festgestellt wird.

Aufforderung an die Firma Boeing (Boeing Commercial Airpl~ane Group), das Betriebshandbuch der Boeing 757/767 im Abschnitt über Notverfahren durch ausführliche Verfahrensanweisungen zur ,,Feststellung und Beseitigung einer fehlerhaften Geschwindigkeitsanzeige`` zu ergänzen.

Herausgabe eines Flight Standard Information Bulletin für die Flugbetriebsprüfer, damit diese sicherstellen können, daß die Betriebshandbücher der Luftfahrtunternehmen für die Boeing 757/767 ausführliche Verfahrensanweisungen zur ,,Feststellung und Beseitigung

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einer fehlerhaften Geschwindigkeitsanzeige`` enthalten.

Herausgabe eines Informationsbulletin für die Flugbetriebsprüfer mit Hintergrundformationen über die Umstände, die zu diesem Unglück geführt haben, damit diese sicherstellen können, daß das Erkennen einer Fehlfunktion der Geschwindigkeitsanzeige während des Startlaufes bei der Ausbildung schwerpunktmäßig berücksichtigt wird.

Sicherstellung, daß bei sämtlichen Schulungen auf der Boeing 757/767 im Flugsimulator ein Ausbildungsprogramm vorhanden ist, mit dem ein Luftfahrzeugführer geschult wird, auf den ,,Ausfall eines Pitotrohres`` angemessen zu reagieren.

Jedes Luftfahrtunternehmen muß über ein eigenes Schulungshandbuch verfügen, daß auf die Art des Flugbetriebes abgestimmt ist, den das Unternehmen durchführt, ungeachtet der allgemeinen Ausbildung, die Flugbesatzungsmitglieder in Schulungseinrichtungen erhalten, die Ausbildungsmaßnahmen gegen Entgelt anbieten (private Lehranstalten, Schulen, etc.).

Aufforderung an sämtliche Unternehmen des gewerblichen Luftverkehrs, die Schulung der Flugbesatzungsmitglieder in der ,,Anwendung des Crew Resource Management Trainings (CRM)`` in ihr Ausbildungsprogramm aufzunehmen.

Überprüfung der bestehenden Ausbildungsanforderungen mit dem Ziel, die Leistungsfähigkeit der Flugbesatzungen zu verbessern.

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Peter B. Ladkin, 1999-02-08
Last modification on 1999-06-15
by Michael Blume